BZ-Sa, 06. Juni 2015
Ein Dorf mit allerbesten Aussichten
UNTERWEGS MIT... Hägelbergs Ortsvorsteherin Gabriele Kaiser-Bühler schwärmt vom Alpenblick und aktiven Mitbürgern / Neue Serie zur Kommunalreform.
STEINEN. Vor 40 Jahren ging in Steinen die Kommunalreform über die Bühne. Per Landesgesetz wurden die bis dato selbstständigen Gemeinden Weitenau, Schlächtenhaus, Endenburg, Hägelberg, Höllstein, Hüsingen und Steinen zu einer Gesamtgemeinde vereinigt. Nicht in allen Orten war damals die Begeisterung groß, sich in einer neuen kommunalen Einheit wiederzufinden. BZ-Redakteur Robert Bergmann fragt nach und hat die Ortsvorsteher der Teilorte zum Spaziergang durch ihr Dorf gebeten. Den Anfang macht Gabriele Kaiser-Bühler in Hägelberg.
Romantisches Hägelberg: Am oberen Dorfbrunnen wird gerne gefeiert.Foto: Robert Bergmann/Erika Dietrich
Am Treffpunkt, dem Sitz der Ortsverwaltung in der unteren Dorfstraße, prangt noch immer weithin sichtbar der alte Schriftzug "Rathaus". Nein, die Hägelberger haben die guten alten Zeiten der Selbstständigkeit nicht vergessen. "Wir sind gerne ein Teil des Ganzen. Aber wir sind eben auch ein Teil", sagt Ortsvorsteherin Gabriele Kaiser-Bühler. Die Hägelberger wollten "ungern mit Steinen in einen Topf geworfen werden". Seit Herbst vergangenen Jahres ist die gebürtige Wollbacherin als Nachfolgerin von Hans-Georg Koger in Amt und Würden. Sie freut sich sehr, diesem Dorf mit seinem wunderbaren Talblick und seiner 725-jährigen Geschichte vorzustehen. Ortsvorsteherin zu sein sei ein 24-Stunden-Job, sagt Kaiser-Bühler, die "nebenbei" noch eine Nachhilfeschule leitet. Spaß mache das Ganze nur, weil die Hägelberger – egal ob zugezogen oder seit Generationen im Dorf verwurzelt – so aktiv mitdenken und anpacken, wann immer es nottut.
Alt und Neu: Die vielen, gut ausgebildeten Neubürger verändern das Bild Hägelbergs. Sie engagieren sich und bauen ihre eigenen vier Wände. Das gibt – wie hier am Milchhüsli – spannende Kontraste im Dorfbild.
Ein Auto hält. Sein Fahrer bittet Gabriele Kaiser-Bühler, sich doch bitte des ausufernden Bewuchses an den Böschungen anzunehmen. Kaiser-Bühler verspricht, für Abhilfe zu sorgen. Da schimmert er schon durch, dieser besondere Geist dörflichen Mitdenkens, mit dem es etwa gelang, die "Energie aus Bürgerhand" – als ambitioniertes Nahwärmekonzept auf die Beine zu stellen. Diesem Zusammenstehen auch ist es zu verdanken, dass endlich die eigene Halle – sie heißt jetzt Dorfgemeinschaftshaus – am Ortsausgang verwirklicht werden kann.
Gabriele Kaiser-Bühler ist erst seit einigen Monaten Ortsvorsteherin. Sie sieht Perspektiven für das Dorf. Foto: Robert Bergmann
Die Halle ist aktuell das wichtigste Projekt im Dorf, und die Hägelberger haben es mit der für sie eigenen Hartnäckigkeit gegen die Sparpläne der klammen Gesamtgemeinde durchgekämpft. Zum Bauplatz am Ortsausgang führt denn auch der erste Weg mit der Ortsvorsteherin. Noch ist nicht viel zu sehen, üppig wuchert das Gras. Bald aber werden hier die Bagger rollen und das Gebäude nach den Plänen der Hägelberger Architektin Sabine Braun errichten. Hägelberg sei der letzte der Steinener Ortsteile, der noch ohne eigene Halle ist, sagt die Ortsvorsteherin. Sie findet, dass es "dringend nötig ist, dass die Menschen wieder ihr eigenes Wohnzimmer bekommen".
Auf dem Weg zurück ins Dorf geht es am Sägewerk Trinler vorbei – einem der wenigen größeren Betriebe im Ort. Hägelberg lebte schon immer weniger von der Industrie, als vielmehr von dem, was die Felder hergaben und vom üppigen Wald, der über dem Dorf thront und bis nach Schlächtenhaus reicht. Von dieser Prägung zeugen neben dem Sägewerk die vielen alten Höfe im Dorf – ein Traktor ist niemals weit. Heute sind es vor allem die Landwirte Glaser und Bühler, die mit großen, modernen Höfen von der harten Feldarbeit und Tierzucht, aber auch der Biogaserzeugung noch einigermaßen leben können.
Schöne Aussichten gibt es beim Dorfspaziergang an beinahe jeder Ecke. Unten ist der Turm des Kindergartens zu erkennen. Foto: Robert Bergmann
In den vergangenen Jahren entdeckten viele gut ausgebildete Mitarbeiter der mittelständischen Industrie im Wiesental und der Chemie in Basel Hägelbergs attraktive Wohnlage für sich. Es sind Menschen aus ganz Deutschland voller Ideen und Tatendrang, die ihre Spuren hinterlassen. Sie bringen sich ein in die Vorstandsarbeit des Turnvereins wie auch bei Energie aus Bürgerhand. Da ist etwa der 35-jährige Immunologe Stefan Drexler. Er lebt mit seiner Familie kaum ein Jahr hier und ist schon Vizevorsitzender im TV Hägelberg geworden. "Man fühlt sich schnell wohl hier", sagt Drexler, als wir an seinem Haus vorbeikommen.
Es sind oft Menschen, die über das nötige Kleingeld verfügen, um sich das eigene Haus zu finanzieren. Und dies dann auch tun. Wer offenen Auges durch den Ortskern geht, wird in Hägelberg alte Häuser entdecken, denen nicht selten ein ziemlich modernes Gebäude als direkter Nachbar an die Seite gestellt wurde. "Nicht alles wurde vom Ortschaftsrat gut geheißen", erzählt Ortsvorsteherin Kaiser-Bühler. Ihr Blick fällt aufs Milchhüsli , über dessen Schindeldach vor einigen Jahren – allen Kritikern im Ort zum Trotz – ein größeres Mehrfamilienhaus gewachsen ist.
Am oberen, von üppigen Geranien bewachsenen Dorfbrunnen gießt eine Frau die Blumen – ehrenamtlich, versteht sich. Hier ist einer der Open-Air-Festplätze Hägelbergs. Das Brunnenfest lockt jedes Jahr aufs Neue viele Besucher an. Gleich gegenüber steht das einstige Gasthaus Hirschen – der gemalte Hirsch röhrt noch von der Fassade. "Schade, dass wir keine eigene Gastronomie mehr haben", seufzt Gabriele Kaiser-Bühler. Dafür aber gibt es in Hägelberg nach wie vor einen eigenen Kindergarten, genannt "Berghüsli". Die einstige Volksschule ist erkennbar an seinem prägnanten Glockenturm. Dank der vielen jungen Familien, die ins Dorf gezogen sind, herrscht Leben in der Einrichtung. Hägelberg habe die Zahl seiner Einwohner einigermaßen stabil halten können, erläutert Kaiser-Bühler. Derzeit zähle man rund 700 Einwohner – die Tendenz sei leicht schrumpfend. Eine Marke von rund 1000 Hägelbergern hält Kaiser-Bühler für erstrebenswert.
40 Jahre nach dem Verlust der Selbstständigkeit Hägelbergs empfindet Ernst Glaser dies als Verlust. Foto: Robert Bergmann
Geht es den Hägelbergern jetzt besser oder schlechter seit der Eingemeindung? Das fragen wir Ernst und Vreni Glaser in der urigen Kappelgaß. Als wir vorbeischlendern, stehen der 87-Jährige und seine Frau gerade mit ihren Gartengeräten vor dem eigenen Hof und rücken dort dem Unkraut im Blumenbeet – ehemals die Mistgrube – zu Leibe. "Mir hätte chönne selbstständig bliebe", sagt Ernst Glaser nachdenklich, auf seine Hacke gestützt. Mit den Einnahmen aus dem Wald wäre es irgendwie schon gegangen, glaubt der alte Herr. Seine Frau findet: "Früher war die Kameradschaft im Ort besser." Sie vermisse die einst so enge Beziehung zu den Nachbarn. Das sei so mit den vielen Zugezogenen nicht mehr möglich, glaubt die alte Dame. Die Ortsvorsteherin hält dagegen. Hägelberg brauche den Zuzug, findet Kaiser-Bühler, und genügend Einnahmen zur Finanzierung der Selbstständigkeit habe man leider nicht. Und was ist mit den Pfaffmattquellen, aus deren Wasser gemeinsam mit dem Höllsteiner Tiefbrunnen das Steinener Trinkwasser gemischt wird? "Wenn uns die Steinener zu sehr ärgern, drehen wir ihnen das Wasser ab", sagt Gabriele Kaiser-Bühler lachend.
Nach einigem Schnaufen ist schließlich die schöne Aussicht hoch über Hägelberg erreicht. Rechts ist die Waldschänke zu sehen – der Versammlungsort der Hägelberger schlechthin, links grüßen die modernen Kunstwerke am ehemaligen Wasserhüsli. Der Blick fällt weit in die Landschaft bis nach Steinen und Basel, ein Mountainbiker schießt aus dem Wald und verschwindet in der Kurve. Von hier aus hat man an manchen Tagen Alpensicht. "Es ist für mich immer wieder ein Traum, von hier oben den Ausblick zu haben", schwärmt Gabriele Kaiser-Bühler.
Eine sichere Bank im Ort: Der Hallenbauförderverein hat sein Ziel fast erreicht. Foto: Erika Dietrich
Es ist der Moment, an dem man zu verstehen beginnt, warum der Posten als Hägelberger Ortsvorsteherin so große Freude macht. Hägelberg hat schöne Aussichten – egal ob es nun selbstständig ist oder nicht.